Mehrsprachigkeit als Chance: Lernschwierigkeiten nicht auf Mehrsprachigkeit schieben
Mehrsprachigkeit ist ein wichtiger Faktor in unserer globalisierten Welt. Viele Menschen wachsen mit mehreren Sprachen auf oder erlernen sie im Laufe ihres Lebens. Doch leider gibt es immer noch die weit verbreitete Annahme, dass Mehrsprachigkeit ein Grund für Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten (LRS) oder Rechenschwäche (RS) sein kann.
Diese Annahme ist jedoch falsch. Mehrsprachigkeit ist kein Grund für LRS oder RS. Im Gegenteil, Studien haben gezeigt, dass Mehrsprachigkeit sogar positive Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung haben kann. Kinder, die mehrere Sprachen sprechen, haben oft eine höhere kognitive Flexibilität und können besser zwischen verschiedenen Aufgaben wechseln.
Es gibt jedoch einige Faktoren, die dazu führen können, dass Kinder mit mehreren Sprachen Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben oder Rechnen haben.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass diese Schwierigkeiten nicht auf die Mehrsprachigkeit selbst zurückzuführen sind, sondern auf andere Faktoren, die mit der Sprachentwicklung zusammenhängen. Eine angemessene Sprachförderung in allen Sprachen und die bewusste Förderung des Erkennen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten von den Sprachen können dazu beitragen, diese Schwierigkeiten zu minimieren.
Insgesamt ist Mehrsprachigkeit ein wertvolles Gut und kein Grund für LRS oder RS. Es ist wichtig, die Vorteile von Mehrsprachigkeit anzuerkennen und die Sprachentwicklung in allen Sprachen zu fördern, um Kindern die bestmöglichen Chancen zu geben.
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Studien zeigen, dass Mehrsprachigkeit nicht ausschlaggebend für das Entwickeln von langanhaltenden Lernschwierigkeiten ist. Mehrsprachigkeit verursacht auch keine Sprachstörung oder LRS im medizinischen-psychologischen Sinne.
Sprachförderung bei mehrsprachigen Kindern: Wie man Lernschwierigkeiten vorbeugen kann
In meinem lerntherapeutischen Alltag arbeite ich vornehmlich mit Kindern und Familien, die mehrsprachig sind. Immer wieder kommen verschiedene Fragen bezogen auf die langanhaltenden Lernschwierigkeiten und mehrsprachig aufwachsenden Kinder.
Da dies ein großes Thema ist, das ich nur kurz anschneiden kann, möchte ich einen Rahmen setzen.
In der Fachwelt gibt es unterschiedliche Begrifflichkeiten für mehrsprachig aufwachsende Kinder. Ich werde im Folgenden ausschließlich von mehrsprachig aufwachsenden Kindern sprechen. Ich meine damit alle Kinder, die zuhause nicht oder nicht ausschließlich die jeweilige Landessprache sprechen.
Im Umfeld von Mehrsprachigkeit tauchen sofort noch weitere Themen auf: Migrationshintergrund, Expat, Auswanderer und damit auch sozialer Herkunft und gesellschaftlicher Status sowie Hierarchien von Sprachen. Es gibt noch sehr viel mehr. Dies sind jeweils eigene große Fachbereiche, auf die ich nicht näher eingehen werde.
Studien zeigen, dass Mehrsprachigkeit nicht ausschlaggebend für das Entwickeln von langanhaltenden Lernschwierigkeiten ist. Mehrsprachigkeit verursacht auch keine Sprachstörung oder LRS im medizinischen-psychologischen Sinne.
Mohini Lokhande, Mitglied des Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, (2016) führt in ihrer Arbeit “Doppelt benachteiligt. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem.” aus, dass “die geringeren Bildungschancen dieser [mehrsprachig] Kinder und Jugendlichen lassen sich zu einem großen Teil durch die soziale Herkunft erklären, also den Bildungsabschluss der Eltern oder ihren gesellschaftlichen Status.” Lokhande findet weiter heraus, dass “bei vergleichbarer sozialer Herkunft, gleichen Kompetenzen und Bewertungen durch die Lehrer besuchen sie [mehrsprachig Aufwachsende] mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Gymnasium als ihre Mitschüler ohne Migrationshintergrund.”
Lenhard und Lenhard (2017) tragen in ihrer Arbeit folgendes zusammen: Mehrsprachiges Aufwachsen hat auf einige kognitive Leistungen durchaus positive Auswirkungen, z. B. auf zentral-exekutive Funktionen, Arbeitsgedächtniskapazität, metalinguistische Bewusstheit und Symbolverständnis. Außerdem besteht erhöhte Resilienz gegenüber einem Altersabbau kognitiver Leistungen. Eine Ursache hierfür liegt vermutlich darin, dass ständig dynamisch zwischen verschiedenen Sprachsystemen gewechselt werden muss, was zu einem erhöhten Training der betreffenden kognitiven Funktionen führt.
Die Aufmerksamkeitslenkung zum Beispiel ist viel besser geschult als bei einsprachig Aufwachsenden. Denn diese Kinder müssen die ganze Zeit damit umgehen, dass sie mehrere aktive Sprachen haben und jeweils immer eine Sprache unterdrücken müssen.
Mehrsprachigkeit und kognitive Entwicklung: Warum mehrsprachige Kinder oft flexibler sind
Das lässt sich noch mehr schulen, wenn mehrsprachige Kinder angeregt werden, zwischen den Sprachen hin und her zu wechseln. Das spricht dafür, alle Sprachfähigkeiten im Unterricht oder der Lerntherapie einfließen zu lassen, damit Kinder sie in ihrer Gesamtheit lernen einzusetzen.
Den Vorteilen gegenüber stehen nach Lenhard und Lenhard (2017) allerdings Nachteile in der Beherrschung der Landessprache gegenüber, besonders bezüglich des Wortschatzes, der syntaktischen Fähigkeiten, des Hörverstehens, der Automatisierung der Sprachfertigkeiten und der Verfügbarkeit des z. T. kulturell geprägten bereichsspezifischen Wissens, welches für das Verständnis von Texten in der Landessprache vonnöten ist.
Lenhard und Lenhard schlussfolgern daraus: der Erwerb mehrerer Sprachen stellt also zunächst einen höheren Lernaufwand dar, von dem die betreffenden Menschen zwar langfristig profitieren können, der während der Entwicklung aber zusätzlich gemeistert werden muss.
Eben dieser höhere Lernaufwand, der bei allen vorliegt, die mehrsprachig aufwachsen, macht es schwerer, die mehrsprachigen Kinder mit langanhaltenden Lernschwierigkeiten von fehlender Sprachkompetenz zu unterscheiden.
Lernschwierigkeiten bei mehrsprachigen Kindern: Welche Faktoren eine Rolle spielen
In meinem Alltag erlebe ich sehr häufig, dass schneller gesagt wird, die auftretenden Lernschwierigkeiten liegen allein an fehlenden sprachlichen Fähigkeiten.
Deshalb werden Lücken in den Lernvoraussetzungen leicht übersehen, da mehrsprachige Menschen häufig durch ihr vielfältiges sprachliches Repertoire und ihre ausgeprägten Fähigkeiten sehr gute Kompensationsstrategien entwickelt haben. Doch das Erlernen der Kulturtechniken erfordert bestimmte Lernvoraussetzungen und Fähigkeiten, um die Lernentwicklungsstufen nacheinander meistern zu können.
Mehrsprachige Kinder treffen im deutsche Bildungssystem auf ein System, dass Einsprachigkeit als Norm setzt und deshalb wird wenig im Unterricht auf die Ressourcen der Mehrsprachigkeit im Unterricht eingegangen. Nur sehr langsam öffnet sich das deutsche Bildungssystem der Mehrsprachigkeit.
Mehrsprachige Kinder treffen zum Beispiel auf die Methode “Schreibe wie du sprichst.” Das ist ein sehr schwieriger Ansatz, da mehrsprachige Kinder unterschiedliche Lauterfahrungen besitzen und außerdem die deutsche Schriftsprache nicht nach diesem Prinzip funktioniert.
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Mehrsprachigkeit hat direkte Auswirkungen auf den Erwerb der alphabetischen Strategien.
Zum einen gibt es erhöhte Anforderungen an den Lernenden, wenn keine phonologischen Einträge vorhanden sind und/oder wenn der Wortschatz sehr gering ist.
Es kann die Wahrnehmung sprachspezifischer Eigenschaften erschweren. So zu hören, ob ein Vokal kurz oder lang ist und Konsonantenverbindung wie z.B. fl, pf oder kr zu hören. Das Deutsche besitzt sehr viele dieser Konsonantenverbindungen.
Häufig braucht es spezielle Übung, um das sicher zu meistern. Fehler in diesem Bereich treten auch bei einsprachigen Kindern auf, doch bei mehrsprachigen Kindern sind diese viel häufiger und langanhaltender. Dieses phonologische Bewusstsein, genannte Fertigkeit, ist eine Grundvoraussetzung, die deutsche Schriftsprache zu meistern.
Ein weiterer Aspekt, der mir immer wieder auffällt, insbesondere bei mehrsprachigen Kindern, die die Schriftsprache in mehreren Sprachen erlernen, ist das Bewusstsein zu schaffen, dass nicht alle Schriftsprachen auf den selben Prinzipien aufbauen. Das bedeutet mit den Kindern auf Entdeckungstour zu gehen, was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweiligen Schriftsprachen. Wird das gleiche Alphabet genutzt? Werden immer alle Laute, die ich höre gesprochen? Werden vielleicht nur Konsonanten geschrieben? Werden immer Buchstaben genutzt? Um nur einige Beispiele zu nennen. Aus meiner Erfahrung ist es nicht nötig als lernbegleitende Person, die anderen Sprachen des Kindes auf einem hohen Niveau zu kennen. Es ist wichtig zu wissen, in welchen Sprachen das Kind noch alphabetisiert ist und auf welchen Prinzipien diese Schriftsprache basiert.